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Interview Tierarztpraxis Activet - Thema: Qualzuchten

Aktualisiert: 3. Mai 2021

Magst du euch und eure Praxis einmal kurz vorstellen? Wir sind eine Kleintierpraxis im Herzen des Ruhrgebiets, in Gelsenkirchen. Die Praxis wurde im Herbst 2018 von Tierärztin Diana Schröer zusammen mit Activet als Konzeptgeber gegründet, aber viele von uns arbeiten schon viele Jahre zusammen, und haben uns so den „gemeinsamen aber unabhängigen“ Praxiswunsch erfüllen können. Wir sind ein großes Team mit mehreren Spezialisten, und haben an uns selbst den Anspruch Tiermedizin auf höchstem Niveau zu betreiben.

Was ist für euch eine Qualzucht? Für uns sind Tiere die unter den Begriff „Qualzucht“ fallen solche, bei denen schon von Vornherein (schon bei der Zucht) auf Merkmale selektiert wird, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Laufe des Lebens Schmerzen, Leiden und Qualen verursachen werden. Besonders schlimm ist es bei Tieren, die nicht ohne medizinische Intervention (chirurgisch oder pharmakologisch) ein erträgliches Leben führen können. Hierbei geht es nicht um mögliche erhöhte Prädispositionen innerhalb einer Rasse, sondern um die Selektion auf die Merkmale die selbst das Problem sind.

o Welche Rassen und warum? Merkmal: Brachycephalensyndrom. (Atemprobleme, Augenprobleme, Gebissfehlstellungen, Unfähigkeit zur adäquaten Thermoregulation). Typische Beispiele sind bei Hunden Mops, Französische & Englische Bulldogge, Pekinese, Chihuahua, Cavalier King Charles Spaniel. Bei Katzen Perser, BKH & BLH, ScoAsh Fold. Auch bei Kaninchen lässt sich mittlerweile der erschreckende Trend hin zur Brachycephalie sehen. Es werden die Köpfchen immer kürzer, die Augenhöhlen flacher, und vor allem daraus resultierende Zahnprobleme immer häufiger. Merkmal: Chondrodysplasie: (angeborene Knorpelbildungsstörungen) bei Scottish Fold Katzen. Ganz übel (und in Deutschland zum Glück verboten!) ist auch die Zucht von schwanzlosen Manx Katzen. Extreme Kleinwüchsigkeit, oh gepaart mit anderen Gendefekten (zB. Brachycephalensyndrom, Hydrozephalus, Chondrodystrophie). Beispiele sind praktisch alle Toy und Teacup Züchtungen, sowie einige Zwergrassen. Extreme Bindegewebsschwäche und überschüssige Haut. Typische Beispiele sind Shar Pei und Basset Hound, Chow Chow, Doggen und Molosser, und zunehmend auch Golden und Labrador Retriever. Ebenfalls unter Qualzucht sollte man Widder und Angora Kaninchen zählen. Auch die sind nicht ohne ständiges Eingreifen selbständig (über)lebensfähig. Hunde mit dem Dilute-Gen, Merlefaktor & Nackthunde- und Katzen sind unserer Meinung nach Grenzfälle. Hier sind besonders zuchthygienische Maßnahmen gefragt, um mit diesen Typen in der Zucht richtig umzugehen. Letztendlich birgt die intensive Zucht auf optische Merkmale immer das Risiko einer Gesundheitseinschränkung.

Welche Erfahrungen habt ihr mit oben genannten Rassen gemacht? Natürlich wird bei jeder Narkose eine individuelle Risikobewertung durchgeführt, und jedes Tier individuell beurteilt, aber man geht automatisch mit einer anderen Technik an brachycephale Narkosen und OPs heran. Es fängt damit an, dass diese Tiere niemals mit den Besitzern in den Behandlungsräumen in Narkose gelegt werden, sondern immer in der OP- Vorbereitung, sodass sie sofort intubiert werden können, und auch sofort genug Fachpersonal und Material vorhanden ist um im Notfall einzugreifen. Die OPs selbst sind vergleichbar mit denen bei anderen Rassen, denn während der Intubation (bei uns wird jeder Hund und jede Katze intubiert) sind die Atemwege gesichert. Brachycephale Hunde werden in der Aufwachphase intensiv und individuell betreut, und wo bei anderen Hunden der Tubus gezogen wird sobald sie beginnen zu schlucken, gilt bei brachycephalen Hunden die Devise: der Tubus bleibt drin solange der Hund es toleriert. In vielen Fällen tolerieren die Hunde den Tubus (inkl. Maulkeil) bis sie wach und ansprechbar sind, manchmal noch bis in die Bauchlage. In einem aktuellen, sehr heftigen Fall, ist eine alte Mopsdame mehrer Stunden wach mit einem Tubus herumgelaufen. Ein andere Beeindruckender Fall war auch ein älterer Mops, der zur Zahnsanierung vorgestellt wurde. Bei der Intubation ist aufgefallen, dass das Gaumensegel ein Loch hatte. Der Hund hatte Jahre zuvor eine Kürzung des Gaumensegels bekommen, und trotzdem hat der dauerhafte Überdruck bei der Atmung irgendwann ein Loch in das Gaumensegel gerissen.

Habt ihr das Gefühl ihr seht mehr, weniger oder gleich viele Vertreter dieser Rasse? Zur Zeit werden es an allen Fronten immer mehr, und sie werden zunehmend extremer. Immer mehr Bulldoggen, immer mehr und immer kleinere Chihuahua, immer größere Doggen, zunehmend plattere Schnauzen, flachere Augenhöhlen, immer mehr Rassen werden mit Merle und Dilute-Gen Farben vorgestellt. Die Kitten, die zur Grundimmunisierung vorgestellt wurden, waren dieses Jahr bisher fast ausschließlich BKH und Scottish Fold.

Was meint ihr woran liegt das? Menschen brauchen das Gefühl etwas besonderes zu sein, müssen etwas beweisen, und viele identifizieren sich sehr über ihre Hunde und Katzen. Da gilt: je extremer, desto beeindruckender. Andere müssen zwanghaft jedem Trend folgen. Qualzuchtrassen sind derzeit allgegenwärtig, bei Influencern, Prominenten und durch die Werbung im Allgemeinen. Qualzuchtmerkmale werden so verharmlost, normalisiert, und als niedlich und schrullig empfunden. Andere Menschen halten Hunde und Katzen als Kinder (oder Partnerersatz), ob sie es wahrhaben möchten oder nicht. Sie wünschen sich Tiere die möglichst ein Leben lang ein Welpen (ein „Kind“) bleiben, zumindest optisch. Also klein, und mit runden Köpfen und Kulleraugen. Menschen wohnen immer häufiger alleine, und/oder in kleinen Wohnungen. Da ist es natürlich praktisch wenn der Hund Handtaschenformat hat und vielleicht sogar auf die Katzentoilette geht.


Habt ihr den Eindruck, dass die Besitzer dieser Rassen realisieren dass ihre Tiere leiden?

Tatsächlich eher nicht. Es gibt einige Ausnahmen, aber die meisten empfinden es schlicht als „normal für die Rasse“. Das ist dann die Entschuldigung für Keilwirbel, Bandscheibenvorfälle, Schnarchen, Ohnmachtsanfälle, Dermatitis, Hitzschlag etc... Sie realisieren schon dass die Tiere im akuten Fall leiden, also zB. beim akuten Bandscheibenvorfall. Besonders gegenüber den chronischen Problemen, die diese armen Tiere ein leben lang täglich begleiten, scheinen die Besitzer aber eine wahnsinnige Toleranz oder vielleicht Betriebsblindheit entwickelt zu haben.

• Welche Erfahrungen habt ihr bezüglich Krankenversicherungen bei diesen Rassen gemacht? Ja, tatsächlich haben einige Besitzer vor allem brachycephaler Rassen Krankenversicherungen für Ihren Hund. Dass das sinnvoll ist, scheint durchaus bei einigen angekommen zu sein, aber dabei handelt es sich eigentlich immer um die Leute die sowieso eher vernünftig sind, sich informieren und die Hunde aus mehr oder weniger seriösen Quellen beziehen. Die Ausnahme bestätigt die Regel, aber die Leute die es wirklich bräuchten, denken an so etwas gar nicht erst.


Wird vieles übernommen, oder eher nicht? Das ist ganz unterschiedlich; es kommt sehr auf den Versicherer, und den gewählten Tarif an. Anhand von Rückmeldungen vieler Kunden vor allem junger Hunde aus den einschlägigen Moderassen, hören wir zunehmend dass mittlerweile viele zuchtbedingte Erkrankungskomplexe dieser Rassen, aus der Leistung ausgeschlossen werden, und das bei praktisch allen Anbietern. Diese Entwicklung ist relativ neu, das hören wir seit etwa 2 Jahren.


Findet ihr es gerechtfertigt, dass einige Krankenversicherungen zum Beispiel Brachycephale Rassen nicht versichern? Es ist durchaus nachvollziehbar, denn auf die Merkmale, die hier Probleme machen, wird ja explizit hingezüchtet. Besitzer suchen sich ja absichtlich Tiere aus, die nicht nur prädisponiert sind, sondern die garantiert alle Voraussetzungen erfüllen um eine Intervention zu benötigen. Es ist erschreckend, denn es ist ja wirklich so, dass praktisch jeder einzelne brachycephale Hund im Laufe seines Lebens von einem Eingriff aus der Kategorie profitieren würde.

Wärt ihr für ein Zuchtverbot? Als Tierarzt müsste man sich ja eigentlich dafür bedanken, dass diese Rassen mit all ihren Baustellen grad so beliebt sind, denn sie garantieren uns noch für viele Jahre ein regelmäßiges Einkommen. Aber wir sind ja bekannterweise keine besonders guten BWL-er, sondern verstehen uns laut Berufsordnung als „die berufenen Schützer der Tiere“. Und wenn eine Rasse nicht mehr zu retten ist, dann gehört sie verboten, um unnötiges Leid zu verhindern. Von daher: ja, wir sind für ein Zuchtverbot von den Rassen, bei denen die definierenden Merkmale das Problem sind. Das gilt für Bulldoggen und Mops, Teacup- Züchtungen, Manx und Scotish Fold Katzen.

Wollt ihr sonst noch etwas loswerden? Es ist grad eine sehr beliebte Entschuldigung zu sagen: „Ja, aber mein Mops/ Frenchie o.ä. ist aus dem Tierschutz/ schlechter Haltung/ Tierheim /adoptiert“ etc. Das ist genau so eine schlechte Entschuldigung, wie einem Welpenhändler den Welpen abzukaufen, weil das Tier einem so leid tut und man es retten will. Auch hier gilt: die Nachfrage regelt das Angebot,

und wenn Plattnasen im Tierschutz weggehen wie warme Semmeln, wird es immer Menschen geben, die die Nachfrage bedienen werden. Wir stehen grundsätzlich voll hinter „adopt, don’t shop!“, solange das nicht zur Entschuldigung wird, doch weiter Qualzuchten zu hypen, und die abartige Produktion dieser Hunde in unkontrollierten Kellerzuchten zu unterstützen, aus denen die Hunde dann „gerettet“ werden.




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